Dr. Motte über 30 Jahre Loveparade: Friede, Freude, Eierkuchen

Über die Anfänge und das Ende der Loveparade und eine Ausstellung in Berlin

Am 1. Juli 2019 öffnet die neue Sonderausstellung „Dr. Mottes Loveparade“. Zum 30. Jahrestag des Massenphänomens gibt der Erfinder der Loveparade, Dr. Motte persönliche Einblicke in die außergewöhnliche Geschichte der Berliner Paraden. Wir haben den Berliner DJ befragt.

Loveparade 1992 (Foto: Mike Trobridge)

1989 seid ihr zum ersten Mal mit Techno auf die Straße gegangen. Wie kam es zu dieser Schnapsidee?

Dr. Motte: Freunde von mir kamen in den späten 80ern auf mich in der Turbine Rosenheim zu, wo ich regelmäßig Acid Partys machte, und erzählten mir, sie wären in England auf Underground-Partys in Off-Locations gewesen und hätten dort bei illegalen Raves mitgemacht, wo dann die Polizei kam und alles auflöste, das Soundsystem mitnahm. Und dann war die Party doch nicht vorbei, denn irgendwer hatte einen Ghettoblaster dabei und es entstand eine spontane Streetparty vor der Location und alle feierten einfach weiter. Das inspirierte mich zu der Idee, das auch in Berlin zu machen.
Ich hatte aber erst keine Vorstellung, wie wir das in Berlin hinkriegen sollen, denn wir hatten ja damals im Westen gar keine Off-Locations, wo man sowas hätte machen können. Ich schlief also ein paar Wochen – oder waren es Monate? – darüber und hatte dann schließlich die Idee mit der Demo. An einem Morgen vor einem Club in Kreuzberg sprach ich die dann laut aus. Alle Anwesenden waren sofort Feuer und Flamme und in 6 sechs Wochen hatten wir die 1. Loveparade organisiert. Eine Demo für Friede, Freude, Eierkuchen. Ich erkannte damals schon, wir müssen unser Denken ändern. Wenn alle gegen Krieg sind, dann ist das Gegenkrieg. Wir sollten also FÜR etwas auf die Straße gehen. Also sind wir mit unserer Musik für Frieden, für Abrüstung und für eine gerechte Nahrungsmittelverteilung auf die Straße gegangen. Der Protest war der Tanz zu unserer Musik getanzt. Das war neu. Siehe John Bornemann: "Politics without a Head: Is the "Love Parade" a New Form of Political Identification?"

Wer war damals dabei?

Dr. Motte: Wir ließen Kassetten von allen DJs aufnehmen. Die haben dann jeweils 3 Kassetten mit dem gleichen Mix mitgebracht und der jeweilige Mix lief dann gleichzeitig auf allen 3 Wägen. Die DJs waren: Kid Paul, Jonzon, Westbam und Dr. Motte. Am Anfang waren wir nur die Leute, die das Ganze organisiert hatten. Als es dann los ging kamen vielleicht noch 20 Leute dazu. Das waren eingeschworene Acid Lovers aus der gerade aus dem Ei geschlüpften Mini Acid House Szene in Berlin. Am Ende der ersten Loveparade waren wir höchstens 150 Leute. Wir fühlten uns dem Second Summer of Love verbunden.

Wie waren die Reaktionen auf die erste Love-Parade?

Dr. Motte: Alle die dabei waren hatten für die Dauer der Parade eine Gänsehaut! Ich auch. Die ganze andere Berliner Szene hatte uns eher belächelt und meinte, dass das nichts werden würde, als wir Plakate in den angesagten Cafés aufhingen und Flyer verteilten.

Dann kam der große Durchbruch und plötzlich wollten alle dabei sein. Wie fandet ihr diese Entwicklung?

Dr. Motte: Das wiederholt sich halt immer wieder. Die Major-Plattenfirmen und Verlage wollen Umsatz und Rendite. Dafür machen sie Gesetzesinitiativen aus Europa eben um das Urheberverwertungsrecht für sich selbst durchzusetzen. Koste es was es wolle. Notfalls auch die Freiheit im Internet! Echte gute Musik findest du im Radio fast nicht, weil es schon immer das System ist, mit dem sich über die GEMA in Deutschland nur eine mächtige Elite bereichert. Der Underground-Künstler wird behandelt wie ein Mülleimer und bekommt maximal Almosen wenn er darum betteln sollte. Sonst wird er mit einem Punktesystem der GEMA klein gehalten. 65% der einnahmen der GEMA gehen an 5% der sog. "ordentlichen Mitglieder". Der Rest bekommt vom großen Kuchen fast nichts ab, weil die Verwaltung leider sehr teuer ist. Darum haben sich damals viele Produzenten mit Scheiße im Radio die Taschen voll gemacht und viele Unwissende dachten dann, das ist "Techno". Mann, ging uns das auf den Wecker. Unfassbar!

Loveparade 2003 (Foto: Dr. Motte)

Woran ist die heute legendäre Loveparade in Berlin letztlich gescheitert?

Dr. Motte: Letztlich gescheitert ist die Loveparade an zu vielen Fehlentscheidungen. Ich wollte immer Kultur zeigen, die wir entwickelt hatten und den Frieden für alle Menschen, durch unser jährliches, gemeinsames Tanzen zu unserer Musik bewirken. Alle anderen wollten immer nur abschöpfen und Gewinne erzielen. Selbst Berliner Loveparade-Hasser haben uns bereits 2001 einen gigantischen Strich durch die Rechnung gemacht, weil sie uns zuvor kamen und an unserem Tag, auf unserer Strecke, eine Demo für 20 Leute angemeldet hatten. Der damalige Berliner Innensenator, Dr. Eckart Werthebach (CDU), hat sich da fein rausgehalten und nicht mit uns kommuniziert. Der Ruf in der Presse hatten nichts bewirkt. Dann wurde entschieden zu klagen. Eine gigantische Fehlentscheidung, denn was dabei herauskam, war die Aberkennung des Demonstrationsstaus in vor dem Bundesverfassungsgerich in Karlsruhe. Eine Katastrophe! 2004 waren wir so gut wie insolvent mit der Loveparade Berlin GmbH. 2005 wurde die Loveparade, durch die damalige Interimsgeschäftsführerin, Angie Strittmatter, und weil alle anderen GmbH-Anteilshaber dafür waren, zu 100 % an Rainer Schaller von McFit verkauft.

Schaller holte die Loveparade von Berlin ins Ruhrgebiet, wo es in Duisburg 2010 zur Katastrophe kam, bei der 21 Menschen starben. Seitdem ist die Loveparade Geschichte.

Heute sind die Berliner Technoclubs voll wie nie, vor der Tür lange Schlangen. Hätte die Loveparade heute noch eine Chance in Berlin?

Dr. Motte: Erst mal muss man doch sagen, es ist toll, wie sich Berliner Clubkultur entwickelt hat. Was für eine internationale Ausstrahlungskraft! Wow, das ist einzigartig und das alles baut sich auf, auf den Boden, den wir damals bereitet haben. Ich finde das großartig und freue mich da riesig drüber. Mit den ganzen Sicherheitsbestimmungen, die heute eingehalten werden müssen, kann man sich kaum eine Vorstellung machen, wie lange die Vorbereitung dauern würde, wenn man das wieder angehen würde. Mit wem man alles sprechen müsste, wie viele Menschen dafür arbeiten und bezahlt werden müssten. Das jetzt neu anzuschieben wäre ein Mammutprojekt. Wäre die Parade in Berlin geblieben, hätte sie sicherlich auch heute noch ihren festen Platz im Herzen der Stadt und in den Herzen der Szene. Bei uns in den 90ern war Sicherheit an erster Stelle. Meiner Einschätzung nach bräuchte man locker 2 Jahre Vorbereitung und das ist schon sehr sehr sportlich! In Berlin brauchst du einen sehr langen Atem und ein wasserdichtes Konzept, an dem alle Behörden mitarbeiten müssen.

Was hältst du vom "Zug der Liebe"? Ein legitimer Nachfolger oder Rip-off?

Dr. Motte: Weder das eine, noch das andere. Der Zug der Liebe ist eine politische Demonstration mit mannigfaltigen Themen, wie man auf den ersten Blick erkennen kann. Die Macher selbst werden nicht müde zu betonen, dass sie ein völlig anderes Konzept haben, dass nichts mit der Loveparade gemein hat, außer, dass die Themen durch elektronische Musik besser transportiert werden. Außerdem, Artikel 8 Grundgesetz: Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Es ist unsere nonverbale Kultur, gemeinsam auf der Straße zu tanzen. Wir gehen für die Liebe auf die Straße. Wir haben gelernt zu kooperieren. Wir wollen nicht mit Waffen aufeinander schießen. Wir wollen eine gemeinsame Zukunft erleben, in Glück, Freiheit und Frieden. Und um es mit Mr. Fingers zu sagen: "You may be black, you may be white; you may be Jew or Gentile. It don’t make a difference in our House."

Was gibt's bei der Loveparade-Ausstellung in Berlin zu sehen?

Dr. Motte: Wir sammeln gerade wie bescheuert alles, was wir bekommen können, über die Berliner Loveparades von 1989 bis 2003. Also immer her mit dem Material. Wir freuen uns über Poster, Merchandise, Fotos, Videos, Flyer… und Geschichten. Wir werden eine schöne Installation daraus machen, die ewig fortgesetzt werden könnte. Mein Ansatz dabei ist: Wir haben die Pflicht, den nachfolgenden Generationen zu vermitteln, was die Wurzel der ganzen Bewegung und ihres Spirits sind. Ich zeige natürlich auch aus meiner privaten Sammlung ein paar hübsche Sachen, wie z. B. die Original Muschel, auf der ich einmal zur Abschlusskundgebung der Loveparade 2000 geblasen habe.

Die Loveparade Ausstellung ist ab 1. Juni 2019 bis 31. Januar 2020 im Rahmen von ninetiesBerlin in der Alten Münze in Berlin-Mitte zu sehen.

Alle weiteren Infos unter www.drmotte.de

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